Die Katharer
Innerhalb seiner Einweihung übertrug man ihm nun im folgenden Ritual das Vermögen zu binden und zu lösen.
Ich zitiere: „Und ihr sollt lernen (wissen), daß Macht gegeben ist der Kirche Gottes zu binden und zu lösen und Sünden zu vergeben und Sünden zu behalten. So wie Christus sagt im Evangelium S. Johannes: Also wie der Vater mich sandte, so sende ich auch euch. Als er diese Dinge gesagt hatte, blies er sie an und sagte ihnen: Empfanget den heiligen Geist. Welcher Sünden ihr verzeihen werden, denen sind sie verziehen und welcher ihr sie behalten werdet, sind sie behalten. (Joh. 20,21-23)
Und im Evangelium S. Matthäi sagt er zu Simon Petrus: Ich sage dir, du bist Petrus, und auf diesem Stein werde ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle werden keine Gewalt haben gegen sie. Und ich werde dir die Schlüssel des Himmelreiches geben. Und welche Sache du binden wirst auf Erden, die wird im Himmel gebunden sein, und welche Sache du lösen wirst auf Erden, die wird in dem Himmel gelöst sein. (Matth. 16, 18-19) Zitat Ende.
Nun wurde ihm im Folgenden das Vermögen übertragen, in der Nachfolge des Christus all jene Wunder zu vollbringen, die der Herr selbst getan hatte.
Denn S. Johannis sagt in seinem Briefe: O Vielgeliebte, wollet nicht die Welt liebhaben noch die Dinge, welche in der Welt sind. Wenn jemand die Welt lieb hat, so ist die Liebe des Vaters nicht in ihm. Nun ist alles, was in der Welt ist, Lust des Fleisches und Lust der Augen und Hoffart des Lebens, welches nicht vom Vater ist, sondern es ist von der Welt, und die Welt wird vergeben und ihre Lust. Aber wer den Willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit. (1. Joh. 2,15-17)
Und Christus sagt zu den Leuten: Die Welt kann euch nicht hassen, aber mich haßt sie, denn ich gebe Zeugnis von ihr, dass ihre Werke böse sind. (Joh. 7, 7)
Und in dem Buche Salomons steht geschrieben: Ich sah alle die Dinge, welche unter der Sonne geschehen, und siehe, alle sind Eitelkeiten und Qualen des Geistes. (Pred. 1,14)
Und Judas Jacobi sagt uns zu unterrichten in dem Briefe: Hasset diesen befleckten Rock, welcher fleischlich ist. (Jud. 23)
Jetzt trat der Diakon an die Seite des zukünftigen Katharerpristers. Mit einem „Parcite nobis“ (Ehre sei dem) verbeugten sie sich gemeinsam vor Gott, dem Priester, und dem Altarstein. Es folgte nun die förmliche Bitte um Aufnahme in die Gemeinschaft der Ecclesia (…in die Gemeinschaft der Auserwählten) sowie die Lossprechung aller Sünden seines bisherigen Lebens. Der Diakon sprach jetzt zu allen hier anwesenden: Ich zitiere: „Parciti nobis! Gute Christen, wir hatten euch um der Liebe Gottes Willen, daß ihr diesem unserem Freund von jenem Guten gebet, welches Gott euch gegeben hat.“
Dann sprach der Einzuweihende selbst: „Parciti nobis! Zur Vergebung aller Sünden, welche ich jemals getan habe und gesprochen und gedacht und ausgeführt, komme ich zu gott und zur Kirche und zu euch allen.“
Nach einem Moment der Stille sprachen die Bürder gemeinsam wie mit einer mächtigen Stimme: „Von Gott, von uns und von der Kirche seien sie euch vergeben, und wir bitten Gott, daß er sie euch vergebe.“ Zitat Ende.
Als äußeres Zeichen der Vergebung aller Sünden wurde ihm die rituelle Waschung mit dem heiligen Wasser der Quelle zuteil. Die wenigen Schritte dorthin führte ihn der Diakon und benetzte ihn die Füße, die Hände, dann die Augen, den Mund und die Ohren mit dem reinen Quell. Nach dem Trocknen mit neuen Leinen-Tüchern wurde er mit geweihten Gewändern eingekleidet:
- mit dem „sadere“, einem Hemd mit Ärmel und einer Tasche unterhalb des Kragens, um dort das Johannes-Evangelium aufzubewahren,
- mit dem „Kosti“, einem zylindrischen Hohlgürtel, der aus zweiundsiebzig aus weißem Linnen geflochtenem Fäden gedreht war, und der ihm drei Mal um die Taille geschlungen wurde;
- mit dem schwarzen Rock und den geflochtenen Sandalen.
Mit solcher Art vorbereitet begab er sich nun über die hölzernen Stufen auf die Plattform vor das Pentagramm von Betlehem. Hier, kurz vor dem Höhepunkt der Einweihungsfeier, stieg er selbst in dieses Pentakel und bildete mit ausgestreckten Armen und Beinen und emporgerichteten Haupt ein lebendes Pentagramm, die lebendige Wirklichkeit des fünffachen neuen Menschen: Der Weg zu den Sternen wurde ihm nun erschlossen, nach dem Sprechen des unaussprechlichen heiligen Wortes. – Der Neophyt hatte nun das Empfinden, nicht nur in diesem Pentagramm zu stehen, sondern es zu durchschreiten. Das heilige Mysterium der Wiedergeburt hatte sich in ihm vollzogen. Wie ein Licht war er in das ewige Licht eingetaucht, mit ihm verschmolzen, ohne Grenze, ohne Barriere: Einer in Allem, alle in Einem.
Nach verschiedenen Gebeten, einem „Pater Noster“ und dem Verlesen der ersten siebzehn Verse des Johannes-Evangeliums war mit dem Austauschen des brüderlichen Friedenskusses die sakramentale Handlung beendet. Der neue Jünger wurde beglückwünscht, vom priesterlichen Oberhaupt, dann von seinen Mitbrüdern, derer einer er nun geworden war. Ein „Reiner“ war er nun geworden, ein „Pur“, ein „Bonshomme“, einer, der trotz seiner tiefen Freude und Dankbarkeit eines niemals vergessen wird. Ich zittere: „Es kommt darauf an, daß man im Geist und in der Wahrheit ein Reiner wird. Wenn man sich an Äußerlichkeiten hiehlte, wäre alles nur trügerische Illusion.“ – Zurückgezogen in sich selbst denkt der Jünger tief nach und dringt so in die Geheimnisse der Natur ein. Er weiß nämlich, dass die wahre Überlieferung niemals formuliert wird und daß der wirklich Weise gestehen muss, daß er nichts weiß….“ Zitat Ende.
Alle Zitate sind aus dem Buch: „Die Mysterien der Katharer“ von Reiner Klein und die Karten auf den Fotos stammen aus “Das Tarot der Katharer“ von John Matthews und Will Kinghan
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